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Sechsjähriges Mädchen aus Bayern an unheilbarer Masern-Gehirnentzündung erkrankt

Im Landkreis Aschaffenburg ist ein 6-jähriges Mädchen an einer chronischen Maserngehirnentzündung – der so genannten Subakuten Sklerosierenden Panenzephalitis – kurz SSPE – erkrankt. Das Kind hatte sich als Säugling im Alter von 7 Monaten mit Masern angesteckt. Fünf Jahre später ist die - als Spätfolge der Masernerkrankung gefürchtete - chronische Gehirnentzündung ausgebrochen...

Im Landkreis Aschaffenburg ist ein 6-jähriges Mädchen an einer chronischen Maserngehirnentzündung – der so genannten Subakuten Sklerosierenden Panenzephalitis – kurz SSPE – erkrankt. Das Kind hatte sich als Säugling im Alter von 7 Monaten mit Masern angesteckt. Fünf Jahre später ist die - als Spätfolge der Masernerkrankung gefürchtete - chronische Gehirnentzündung ausgebrochen. „Im Februar dieses Jahres bemerkten wir deutliche Auffälligkeiten bei unserer Tochter. Sie fiel öfter vom Fahrrad und hatte sprachlich regelrechte Blockaden. Als diese Ausfälle immer drastischer wurden, sind wir in die Klinik gegangen. Die Diagnose SSPE war ein Schock für uns. Innerhalb von nur 8 Wochen wurde aus unserem Kind ein Pflegefall. Sie kann weder laufen noch sprechen und muss inzwischen auch künstlich ernährt werden. Eigentlich sollte sie ja dieses Jahr eingeschult werden. Dieser Schicksalsschlag ist sehr schwer für uns alle“, so Gina R., die Mutter von Angelina und einer weiteren jüngeren Tochter. Die Familie erwartet in Kürze ein weiteres Kind. Die SSPE gilt bis heute als unheilbar – es gibt keine Therapie. „Der Verlauf dieser Erkrankung ist nicht vorhersehbar. Zwischen der ersten Maserninfektion und dem Ausbruch der SSPE können 5 bis 8 Jahre vergehen – wir kennen aber auch Fälle, bei denen sich die Krankheit viel früher gezeigt hat. Die Masernviren siedeln sich bei den betroffenen Patienten während der ersten Erkrankung unbemerkt im Gehirn an, vermehren sich erst Jahre später und zerstören dabei die Nervenzellen. Dieser Prozess verläuft häufig in Schüben und führt zu regelrechten Löchern im Gehirn. Leider kann man diesen Vermehrungszyklus der Viren bisher nicht aufhalten. Nach allem, was wir wissen, endet die SSPE immer tödlich“, erläutert Dr. Martin Terhardt vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ).

Säuglinge besonders gefährdet
Das Risiko, an dieser Spätfolge der Masern zu erkranken, ist offenbar besonders hoch, wenn Kinder als Säuglinge – also im ersten Lebensjahr – mit Masernviren in Kontakt kommen. Beim Robert Koch-Institut (RKI) in Berlin ging man bisher davon aus, dass die SSPE bei etwa 1 von 5.000 Maserninfektionen im ersten Lebensjahr auftreten kann. Nach dem neuen Fall aus Aschaffenburg vermuten Experten allerdings, dass die chronische Maserngehirnentzündung deutlich unterschätzt wird. Denn vor der Erkrankung der kleinen Angelina gab es bereits ein weiteres Kind, das nach Ansteckung im Jahre 2006 inzwischen an SSPE leidet (siehe auch "Kind erkrankt nach Masernepidemie in Duisburg an tödlicher Gehirnentzündung").
„Das besondere an diesen beiden Fällen ist, dass die Infektionen in den Zeitraum nach Einführung der Meldepflicht für Infektionskrankheiten in Deutschland im Jahre 2001 fallen. Für das gesamte Jahr 2006 wurden dem RKI 313 Masernansteckungen im ersten Lebensjahr gemeldet. Und aus diesen Infektionen haben sich bereits zwei SSPE-Erkrankungen entwickelt. Selbst unter der Annahme, dass es 2006 auch eine Dunkelziffer von nicht gemeldeten Fällen gab, müssen wir jetzt davon ausgehen, dass das SSPE-Risiko nach einer Infektion im ersten Lebensjahr viel höher ist, als wir bisher angenommen haben“, warnt Dr. Terhardt, der auch Mitglied der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut (RKI) ist. Und es gibt auch weitere Hinweise auf die Häufigkeit der SSPE in Deutschland. So verzeichnet das Bundesamt für Statistik von 2005 bis 2010 27 Todesfälle mit der Diagnose SSPE. Und auch bei einem weiteren Kind, das sich 2006 im Alter von 5 Monaten mit Masern angesteckt hatte, wurde eine schnelle Verlaufsform der SSPE diagnostiziert. Das Kind starb bereits im Frühjahr 2007. Bezogen auf das Ausbruchsgeschehen 2006 in Deutschland muss man also mit einer Häufigkeit von unter 1:200 ausgehen. Im Klartext: Das Risiko für Säuglinge, die sich im ersten Lebensjahr mit Masern anstecken, an den Spätfolgen dieser Erkrankung zu sterben, ist sehr hoch. Aber Kinder sollen in Deutschland entsprechend der Impfstoff-Zulassungen erst ab 11 Monaten geimpft werden.

Impfschutz als gesellschaftliche Aufgabe
„Die STIKO empfiehlt eine zweimalige Impfung gegen Masern, Mumps, Röteln und Windpocken im zweiten Lebensjahr. Säuglinge im Alter von 9 Monaten bis 11 Monaten können nur in Ausnahmefällen geimpft werden. Die Kleinen können sich selbst nicht schützen – sie sind deshalb darauf angewiesen, dass alle Kontaktpersonen gegen Masern immun sind“, erläutert Terhardt: Eine Vorstellung, die den Betroffenen große Angst macht. „Ich kann mein Baby ja nicht zu Hause einsperren und jeglichen Kontakt zu anderen Menschen meiden. Wir vermuten, dass die Ansteckung unserer Tochter damals in einem öffentlichen Verkehrsmittel erfolgt sein könnte. Es muss doch in einem Land wie Deutschland möglich sein, die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft vor so einer grausamen Erkrankung zu schützen. Ich kann nicht verstehen, dass z.B. ungeimpfte Kinder eine Kindertagesstätte oder einen Kindergarten besuchen dürfen. Für das dort arbeitende Betreuungspersonal müsste der vollständige Impfschutz zur verpflichtenden Voraussetzung für die Anstellung gehören. Aber das ist ja fast nirgendwo der Fall“, kritisiert Gina R.

Und auch die Impfexperten mahnen zum Impfschutz insbesondere bei Erwachsenen. „Wir wissen, dass viele der heute 15- bis 40-Jährigen nicht gegen Masern immun sind oder einen unklaren Impstatus haben. Daher empfiehlt die STIKO all diesen Personen, die nach 1970 geboren sind, die Impfung gegen Masern, Mumps und Röteln (MMR). Wer einen Kinderwunsch hat oder im Freundes- oder Bekanntenkreis eine Familie mit einem Neugeborenen hat, sollte sich seiner Verantwortung für die Kleinen bewusst machen und sich umgehend beim Arzt impfen lassen. Und auch in den Arztpraxen sollte die MMR-Impfung schnellstens zur Routine werden, um die großen Impflücken bei jungen Erwachsenen und Jugendlichen zeitnah zu schließen. Wer sich unsicher ist, kann sich vorab auch online an unseren Verband wenden“, rät Dr. Martin Terhardt mit Verweis auf das neue Angebot des BVKJ unter www.facebook.de/jugendaerzte.