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Neuraminidasehemmer bei Kindern und Jugendlichen unter Berücksichtigung der Vogelgrippe und einer möglichen Influenzapandemie

Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt Kindern und Jugendlichen mit erhöhter gesundheitlicher Gefährdung, z.B. aufgrund einer chronischen Erkrankung (Asthma bronchiale, Mukoviszidose, chronische Herz- und Nierenleiden, Diabetes), eine Grippeschutzimpfung. Im Rahmen der üblichen alljährlichen Influenzawelle sollte sich die Gabe von antiviralen Medikamenten (Neuraminidasehemmern) auf die Kinder und Jugendlichen beschränken, für die durch die STIKO aufgrund bestimmter Grunderkrankungen die jährliche Impfung empfohlen wird. Ferner sollten sie nur im Rahmen ihrer Zulassung eingesetzt werden. Für den Fall einer Influenzapandemie bzw. Erkrankung an aviärem H5N1-Influenzavirus wäre eine Indikationserweiterung erforderlich, damit Kinder jeden Alters eine Behandlung bzw. Vorsorge mit einem Neuraminidasehemmer erhalten könnten...

Die Influenza (Virus-Grippe) ist eine akute Infektionskrankheit der Atemwege, die durch plötzliches hohes Fieber, Schüttelfrost, Abgeschlagenheit, Kopf-, Rücken- und Gliederschmerzen sowie starkes Krankheitsgefühl gekennzeichnet ist. Gefürchtete Komplikationen sind akutes Herz-Kreislaufversagen, Lungenentzündung (Pneumonie), und bakterielle Sekundärinfektionen (meist durch Pneumokokken). Besonders komplikationsgefährdet sind Patienten mit eingeschränkter Lungenfunktion (z.B. bronchopulmonale Dysplasie, Asthma bronchiale oder Mukoviszidose), chronischen Herz- und Nierenleiden, neuromuskulären Erkrankungen, Diabetiker, Patienten mit angeborenen oder erworbenen Immundefekten, Schwangere, Säuglinge sowie allgemein Personen ab 60 Jahren.

Zur Prophylaxe der jährlich epidemisch im Winterhalbjahr auftretenden Grippe (hervorgerufen durch Influenza-A-, seltener –B-Viren) sind Impfstoffe verfügbar, die jährlich entsprechend dem Antigenmuster der aktuell zirkulierenden Influenzaviren in neuer Zusammensetzung produziert werden. Sie werden von der Ständigen Impfkommission (STIKO) u.a. für die oben angeführten Risikogruppen als Indikationsimpfung empfohlen. Dieser Empfehlung schließt sich auch der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte an. Regionale und/oder nationale Influenza-Überwachungssysteme erlauben eine zuverlässige Einschätzung von Beginn und Ende der alljährlichen Epidemien (z.B. PID-ARI Net, Arbeitsgemeinschaft Influenza).

Käme es zu einer Pandemie, so würde diese durch ein neues Influenzavirus hervorgerufen, dessen genaue molekulare Struktur im Voraus nicht bekannt ist. Deshalb kann ein Impfstoff nicht vorsorglich entwickelt werden. Aus diesem Grund müsste zwischen dem ersten Auftreten des neuen Virus und der Verfügbarkeit eines dagegen gerichteten Impfstoffs ein Zeitraum von mindestens sechs, eher aber neun Monaten mit anderen Präventivmaßnahmen überbrückt werden. Dafür sind als Medikation Neuraminidasehemmer (Tamiflu®, Relenza®) in besonderem Maße geeignet. Im Gegensatz dazu scheinen H5N1-Viren gegen Amantadin resistent zu sein.

Neuraminidasehemmer können die Bekämpfung der Influenza durch Impfprävention sinnvoll ergänzen. Voraussetzung für den Einsatz der Neuraminidasehemmer ist das aktuelle, epidemische oder pandemische Auftreten von Influenza bzw. ein möglicher Kontakt zum Vogelgrippevirus H5N1. Bei möglichem Kontakt mit dem Vogelgrippevirus sollte grundsätzlich ein Erregernachweis angestrebt werden. Die Anwendung von Neuraminidasehemmern ist im Falle einer Influenzapandemie für alle Erkrankten mit für Influenza typischen Symptomen (d.h. Fieber und respiratorische Symptome) empfohlen bzw. bei V.a. oder nachgewiesener Vogelgrippe für alle Erkrankten und deren Kontaktpersonen.

Im Rahmen der üblichen alljährlichen Influenzaepidemie sollte sich die Gabe von Neuraminidasehemmern auf die Kinder und Jugendlichen beschränken, für die durch die STIKO aufgrund bestimmter Grunderkrankungen die jährliche Impfung empfohlen wird. Ferner sollten sie nur im Rahmen ihrer Zulassung (Oseltamivir ab 13 Jahren zur Prophylaxe bzw. ab 1 Jahr zur Therapie der Influenza, Zanamivir ab 12 Jahren nur zur Behandlung der Influenza) eingesetzt werden. Je schwerer die entsprechende Grundkrankheit ist bzw. je höher das individuelle Erkrankungs- oder Komplikationsrisiko eingeschätzt wird, desto eher sollte der Einsatz eines Neuraminidasehemmers erwogen werden. Dies ist eine ärztliche Entscheidung, eine unkritische Bevorratung von Laien mit diesen Medikamenten ist nach Ansicht des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte nicht sinnvoll.

Einsatz von Neuraminidasehemmern im Rahmen der jährlichen Influenzaepidemie

Therapie (Oseltamivir oder Zanamivir)
Die Behandlung muss so früh wie möglich, spätestens binnen 48 Stunden nach Auftreten der ersten Symptome (Husten, Atemnot, Fieber u.a.) einsetzen. Sie sollte vom Arzt erwogen werden bei Kindern und Jugendlichen mit erhöhtem Risiko (2), die nicht die prophylaktische Impfung erhalten haben
trotz prophylaktischer Impfung erkranken (vermutliche Impfversager).

Prophylaxe (Oseltamivir)
Während einer Influenzaepidemie kann die einmal tägliche prophylaktische Anwendung bei Kindern und Jugendlichen ab 13 Jahren mit erhöhtem Risiko erwogen werden

  • wenn die Impfung wegen einer Kontraindikation nicht durchgeführt wurde (Anwendungsdauer: bis zu 6 Wochen)
  • kein Impfstoff zur Prophylaxe verfügbar war (Anwendungsdauer: bis zu 6 Wochen)
  • die Impfung spät, d.h. erst nach Beginn der Influenzaepidemie erfolgte und die Zeit bis zum Eintritt des Impfschutzes überbrückt werden soll (Anwendungsdauer: 10-14 Tage)
  • die Impfung nicht stattgefunden hat und aktuell Exposition zu einer engen Kontaktperson (Haushalt) mit Influenzasymptomen besteht (Anwendungsdauer: 7 Tage)

Einsatz von Neuraminidasehemmern im Falle einer Influenzapandemie bzw. bei V.a. Vogelgrippe

Therapie (Oseltamivir oder Zanamivir)
Die Behandlung sollte so früh wie möglich erfolgen, idealerweise binnen 48 Stunden nach Auftreten der ersten Krankheitssymptome. Die Behandlungsdauer beträgt mindestens 5 Tage; bei fehlendem Ansprechen bzw. schweren Verläufen sollte individuell eine Fortsetzung der Therapie erwogen werden. Die Behandlung sollte bei allen Kindern (Oseltamivir ab 1 Jahr, Zanamivir ab 12 Jahren) und Jugendlichen erfolgen, die

  • grippale Symptome aufweisen (Fieber >38°C und Atemnot und/oder Husten) und in den letzten 7 Tagen seit Erkrankungsbeginn aus einem Land mit Vorkommen von Vogelgrippe bei Menschen (siehe www.pei.de oder www.who.int) zurückgekehrt sind
  • in den letzten 7 Tagen seit Erkrankungsbeginn aus einem Land mit Vorkommen von Vogelgrippe (siehe www.pei.de oder www.who.int) zurückgekehrt sind und dort Kontakt zu Vögeln bzw. Geflügel hatten
  • wenn Fälle von autochthon erworbener Vogelgrippe bei Menschen in Deutschland aufgetreten sind bzw.
  • in Deutschland erste Fälle mit einem neuen Pandemievirus aufgetreten sind

Prophylaxe (Oseltamivir)
Die postexpositionelle Gabe von Oseltamivir (ab dem Alter von 13 Jahren, 1 Dosis alle 24 Stunden über 7-10 Tage) ist angezeigt, wenn

  • eine enge Kontaktperson (insbesondere ein Haushaltsmitglied) nachgewiesen an dem aviären H5N1 Influenzavirus erkrankt ist oder
  • nachgewiesen an einem pandemischen Influenzavirus erkrankt ist oder
  • aufgrund der epidemiologischen Gegebenheiten wahrscheinlich an dem aviären H5N1 Influenzavirus oder
  • einem pandemischen Influenzavirus erkrankt ist

Der aktuelle Zulassungsstatus von Oseltamivir (Tamiflu®) und Zanamivir (Relenza®) erlaubt nicht den therapeutischen Einsatz von Neuraminidasehemmern im Säuglingsalter und nicht die postexpositionelle Prophylaxe bei Kindern bis zum Alter von 13 Jahren.
Wir fordern die Hersteller auf, dringend in Absprache mit den Zulassungsbehörden auf eine Indikationserweiterung hinzuarbeiten, damit im Fall einer Influenzapandemie bzw. Erkrankung an aviärem H5N1-Influenzavirus Kinder jeden Alters eine Behandlung bzw. Prophylaxe mit einem Neuraminidasehemmer erhalten können.

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Der Inhalt dieses Artikels entstammt der Stellungnahme der Kommission für Infektionskrankheiten und Impffragen der DAKJ. Die vollständige Stellungnahme kann unter www.dakj.de nachgelesen werden.

Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin e.V.
Dr. med. Henriette Högl, Geschäftsführerin
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Kommission für Infektionskrankheiten und Impfungen der DAKJ - Mitglieder: Prof. Dr. Dr. med. P. Bartmann (Bonn), Prof. Dr. med. U. Heininger (Basel, Vorsitzender), Prof. Dr. med. H.-I. Huppertz (Bremen), Frau Dr. Renate Klein (Saarbrücken), Dr. med. M. Kinet (Rendsburg), PD Dr. med. G. Ch. Korenke (Oldenburg)