Fußball stellt komplexere Anforderungen an das Gehirn als Schach. Während der Schachcomputer "Deep Blue" schon 1997 den damaligen Weltmeister Garry Kasparow schlug, haben Fußball-Roboter noch nicht einmal eine Chance gegen achtjährige Freizeit-Kicker.
Dabei sind es weniger die physischen Voraussetzungen, die einen erfolgreichen Fußballspieler ausmachen. Diese sind nicht bemerkenswert, meint der Hirnforscher Professor Hans-Peter Thier von der Universität Tübingen. Die kognitiven Fähigkeiten sind hingegen das Entscheidende. "Das Gehirn ist es, das Spiele gewinnt", betont Prof. Thier.
Was macht einen guten Torwart aus?
Es sind nicht die kurzen Reaktionszeiten und schnellen Reflexe, die einen guten Torwart ausmachen. Reaktionszeiten sind bei einem professionellen Torwart nicht kürzer als beim Anfänger, wie Versuche ergeben haben. Beim Strafstoß erreicht der Ball Geschwindigkeiten von mehr als 100 Kilometern pro Stunde. Dies ist grundsätzlich zu schnell für einen Menschen, um die Flugbahn des Balles abzuwarten, sich für eine Ecke zu entscheiden und dann die Motorik anzuwerfen.
Abwehrleistung des Torwarts beruht auf Wahrnehmung und Analyse
Vielmehr geht der Erfolg des Torwartprofis aus präziser Wahrnehmung und Analyse der Situation hervor, so Prof. Thier. Ein guter Torwart hat gelernt, seine Augen ruhig auf die relevanten Partien des Schützen zu richten, also dessen Füße und Gesicht. Daraus lässt sich ableiten, wohin der Ball wahrscheinlich fliegen wird. Bei einem Anfänger kann man dagegen ständig eine schnelle Augenbewegung beobachten, die aber eher unangebracht ist. Das Problem: Während einer Augenbewegung, die etwa 100 Millisekunden dauert, sind Menschen funktionell blind.
Woraus resultiert „gutes Ballgefühl“?
Nach Meinung Professor Thiers entsteht „gutes Ballgefühl“ durch intuitives Wissen des Spielers über die Wirkung physikalischer Gesetze – insbesondere der Gravitation. Er verdeutlicht dies mit der Beschreibung eines einfachen Versuches: Personen wurden aufgefordert, Bälle aufzufangen, die aus unterschiedlicher Höhe zu Boden fielen. Erwartungsgemäß war es für die Teilnehmer kein Problem, im richtigen Augenblick die Arme auszustrecken, die Hände zu öffnen und die Bälle zu fangen. "Das ist erstaunlich", meint Prof. Thier. Denn entsprechend der physikalischen Gesetze auf der Erde verändert ein zu Boden fallender Ball ständig seine Geschwindigkeit. Die Teilnehmer waren aber in der Lage, die Gesetzte der Gravitation bei ihrer Fangbewegung zu berücksichtigen. Astronauten, so Prof. Thier, hätten in der Schwerelosigkeit des Weltraums trotz Trainings erhebliche Probleme mit diesem Versuch gehabt. Das heißt, im menschlichen Gehirn sind Modelle der Wirkung von physikalischen Prinzipien, die auf der Erde vorherrschen, repräsentiert.
„Bananenflanke“ bleibt auch für gute Spieler gefährlich
Bei der so genannten "Bananenflanke" versetzt der Schütze den Ball zusätzlich in eine Rotationsbewegung, wodurch eine gekrümmte Fluglinie erzeugt wird. Diese Rotationsbewegung ist nicht zu erkennen. Intuitiv erwarten die Fußballspieler, dass sich der Ball geradeaus bewegen wird. Doch genau dies tut er eben nicht. Aus diesem Grund haben auch Profifußballer ihre Probleme mit der Annahme einer "Bananenflanke".
Als die "vielleicht eindrucksvollste Leistung des Fußballspielers" bezeichnete Thier die Fähigkeit, den Ball teilweise aus vollem Lauf anzunehmen und wohl bemessen zu bewegen, ohne das Gleichgewicht zu verlieren. "Es wäre vermessen, behaupten zu wollen, dass wir verstehen, wie unser Gehirn solche komplexen Leistungen kontrolliert." Schon die einfache Fortbewegung des Körpers verstehe man neurobiologisch gerade in ersten Ansätzen.