Dr. Marc Bellaïche, Pädiater am Robert-Debré-Krankenhaus in Paris, befasste sich mit dem Thema „Heikle Esser“ auf der jährlichen französischen Konferenz für Allgemeinmedizin (JNMG - Journées Nationales de Médecine Générale 2024), die Ende letzten Jahres in Paris stattfand. Sein Vortrag konzentrierte sich auf die Unterscheidung zwischen elterlicher Wahrnehmung, typischem kindlichem Verhalten und Ernährungsproblemen, die einer Intervention bedürfen.
Wichtige Phasen und Entwicklung
Bellaïche konzentrierte sich auf Kinder unter 6 Jahren, da diese in kritischen Entwicklungsphasen, wie z. B. beim Abstillen oder wenn das Kind sitzen kann, häufig mit Ernährungsproblemen zu kämpfen haben.
Eine Phase der Neophilie (Interesse an neuen Lebensmitteln) tritt typischerweise auf, wenn Kinder noch kein Jahr alt sind. Dieser Phase folgt eine Phase der Neophobie (Angst vor neuen Lebensmitteln) zwischen 1 und 3 Jahren. Diese Neophobie ist ein normaler Teil der neuropsychologischen, sensorischen und Geschmacks- Entwicklung und kann bestehen bleiben, wenn das Kind in dieser Entwicklungsphase einen Erstickungsanfall, Stress bei den Mahlzeiten erlebt oder zum Essen gezwungen wird. „Es ist etwas anderes, wenn ein 3-Jährigen neue Lebensmittel verweigert, als wenn ein 6- oder 7-Jähriger immer noch keine neuen Speisen zu sich nehmen will“, erklärte er.
Elterndruck und ausgewogene Ernährung
Eine ausgewogene Ernährung ist wichtig, aber „der elterliche Druck ist oft zu hoch“. Bellaïche empfiehlt, Ängste abzubauen, indem Eltern die Mahlzeiten ruhig gestalten, dem Kind erlauben, in seinem eigenen Tempo zu essen, Zwang vermeiden und die Mahlzeiten nicht zu sehr ausdehnen. Die Überwachung von Wachstums- und Gewichtskurven in der pädiatrischen Praxis ist entscheidend. Damit kann die Kinder- und Jugendärztin / der Kinder- und Jugendarzt feststellen, ob eine Überweisung an eine Fachärztin / einen Facharzt sinnvoll ist.
Bei dokumentierten Essstörungen sollen Untersuchungen klären, ob zugrunde liegenden Erkrankungen die Nahrungsaufnahme beeinträchtigen.
Vermeidende/restriktive Nahrungsmittel Nahrungsaufnahmestörung (ARFID)
ARFID (avoidant/restrictive food intake disorder) ist gekennzeichnet durch mangelndes Interesse an Nahrung und Vermeidung aufgrund sensorischer Merkmale. ARFID tritt häufig bei ängstlichen Kindern auf und wird bei etwa 20% der Kinder mit Autismus-Spektrum-Störung diagnostiziert, die sehr wählerisch beim Essen sind und manche Lebensmittel ganz vermeiden. Diese Erkrankung kann die Entwicklung eines Kindes beeinträchtigen und eine Nahrungsergänzung erforderlich machen.
Beispiele für Essstörungen
Bellaïche beschrieb drei typische Fälle von Kindern, die als „heikle“ Esser gelten:
- Der schlechte Esser: Die Wachstumskurven dieses Kindes liegen im unteren Bereich. Es isst nur kleine Häppchen und kann nicht still sitzen.
Diese Kinder sind in der Regel sehr aktiv und in der Familie sind Angehörige mit ähnlichen Essgewohnheiten. Eltern sollten psychomotorische Aktivitäten fördern, Snacks außerhalb der Mahlzeiten vermeiden und Familienpicknicks in Betracht ziehen, bei denen eine Auswahl an kleinen “Appetit-Häppchen“ angeboten wird. - Das Kind mit schlimmen Erfahrungen: Kinder können aufgrund eines Traumas (durch Intubation, Magensonden, starkes Erbrechen, Zwangsernährung oder Ersticken) Abneigungen entwickeln, die behandlungsbedürftig sind.
- Das Kind mit hoher sensorischer Sensibilität: Dieses Kind macht sich nicht gern die Hände schmutzig, vermeidet es, Gegenstände in den Mund zu nehmen, oder sträubt sich gegen bestimmte Texturen wie Gras und Sand. Das schrittweise Einführen von anders als bisher bekannten strukturieren Lebensmitteln und optisch ansprechenden neuen Lebensmitteln kann hier hilfreich sein.
- Schließlich kann Erkrankung wie eine gastroösophageale Refluxkrankheit (Erkrankung, bei der Magensäure und Mageninhalt in die Speiseröhre zurückfließen) oder Verstopfung zu Appetitlosigkeit beitragen. Studien haben gezeigt, dass die Behandlung dieser Probleme den Appetit bei Kindern, die wenig essen, verbessern kann.