Dem Immunsystem von Neugeborenen auf der Spur

Das Immunsystem eines Neugeborenen unterscheidet sich deutlich von dem eines Erwachsenen. Während Erwachsene über ein ausgereiftes, hoch spezialisiertes Immunsystem verfügen, ist das Immunsystem von Neugeborenen vor allem auf die angeborene Immunabwehr angewiesen, die noch nicht die Fähigkeit hat, starke Entzündungsreaktionen einzuleiten.

Ob dieser Unterschied ein Nachteil ist oder eine sinnvolle Schutzmaßnahme und beispielsweise das Risiko einer Neugeborenen-Sepsis senkt, ist bislang ungeklärt. Die Sepsis ist weltweit immer noch eine der häufigsten Todesursachen bei Neugeborenen.
Eine Forschungsgruppe um Prof. Dr. Dorothee Viemann vom Uniklinikum Würzburg (UKW) entschlüsselte nun entscheidende Stoffwechselprozesse von Immunzellen. Die in der Fachzeitschrift „Nature Communications“ veröffentlichte Studie zeigt, dass Neugeborene einen anderen Stoffwechselmechanismus als Erwachsene nutzen, um ihr Immunsystem zu entwickeln. Blutmonozyten von Neugeborenen gewinnen ihre Energie hauptsächlich durch oxidative Phosphorylierung, die für die weitere Zelldifferenzierung notwendig ist. Erst durch die Umweltexposition des Immunsystems wird der Stoffwechsel neonataler Monozyten mit zunehmendem Alter auf den erwachsenen Stoffwechseltyp, die Glykolyse umprogrammiert.

Einen wichtigen Beitrag, um das Sepsisrisiko besser zu verstehen und möglicherweise neue Schutzmaßnahmen für Neugeborene zu entwickeln, hat jetzt Prof. Dr. Dorothee Viemann, Leiterin der Translationalen Pädiatrie am Universitätsklinikum Würzburg (UKW), gemeinsam mit Forschenden der Universitätsmedizin Würzburg, Hannover, Bonn, Braunschweig und Lübeck veröffentlicht. Ihre Studie charakterisiert erstmals die immunmetabolischen Anpassungsprozesse von Blutmonozyten bei gesunden Neugeborenen, Säuglingen und Kindern. Blutmonozyten sind Teil des angeborenen Immunsystems und bilden damit die erste Verteidigungslinie gegen Infektionen.

Stoffwechsel von Immunzellen verändert sich mit dem Alter - von der oxidativen Phosphorylierung zur Glykolyse

In der Studie zeigte das Würzburger Team, dass sich die Stoffwechselaktivität von neugeborenen und erwachsenen angeborenen Immunzellen stark unterscheidet. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fanden heraus, dass die Blutmonozyten von Neugeborenen mehr Energie produzieren als die von Erwachsenen. Blutmonozyten machen bis zu 8% der weißen Blutzellen (Leukozyten) aus und zirkulieren ein bis drei Tage im Blut, bevor sie ins Gewebe einwandern und sich dort weiterentwickeln.
Um ihre Immunzellen reifen zu lassen nutzen Neugeborene verstärkt die oxidative Phosphorylierung. Dabei wird in den Mitochondrien, den "Kraftwerken" der Zellen, aus Nährstoffen Energie gewonnen und das Molekül ATP (Adenosintriphosphat) produziert, das die Zellen für alle wichtigen Funktionen benötigen. Mit zunehmendem Alter wechselt dieser Stoffwechsel allmählich auf die Glykolyse um, eine andere Art der Energiegewinnung, die stärkere Entzündungsreaktionen ermöglicht.

Stoffwechsel wird durch Umwelt beeinflusst und kann durch ketogene Ernährung nicht zurückgesetzt werden

Die Forschenden entdeckten, dass erst durch den Kontakt mit der Umwelt, insbesondere mit Mikroben wie Bakterien und Viren, das Immunsystem von Neugeborenen trainiert wird. Die Umweltexposition führt dazu, dass sich der Stoffwechsel neonataler Monozyten allmählich verändert und sich dem von Erwachsenen annähert. Interessanterweise konnte eine ketogene Diät, also eine fettreiche, kohlenhydratarme Ernährung, die den natürlichen Stoffwechselzustand von Neugeborenen nachahmt, den ursprünglichen Stoffwechsel dieser Immunzellen nicht wiederherstellen. Das bedeutet, dass der Stoffwechsel von Monozyten durch die Umwelt beeinflusst wird und nicht einfach durch eine spezielle Ernährung zurückgesetzt werden kann.

Verminderte glykolytische Aktivität ist nicht für Infektanfälligkeit verantwortlich

Mit ihrer Arbeit lösen die Forschenden ein altes Paradigma ab. Denn bisher wurde postuliert, dass die reduzierte Fähigkeit von Neugeborenen, durch Glykolyse Energie zu gewinnen, die Ursache für verminderte Entzündungsreaktionen und damit verantwortlich für die Infektanfälligkeit von Neugeborenen sei. Die umfassend charakterisierten und identifizierten immunmetabolischen Eigenschaften des angeborenen Immunsystems deuten dagegen darauf hin, dass eine vorzeitige Aktivierung der Glykolyse bei Neugeborenen das Risiko für schwere Sepsisverläufe erhöhen würde, da es inflammatorische Reaktionen schürt, aber nicht die notwendige Energie für weitere erforderliche Zelldifferenzierungsvorgänge liefert. Viemann appelliert: „Die Behandlung von Neugeborenen im Sinne einer Förderung glykolytischer Stoffwechselprozesse sollte vermieden werden, um überschießende Entzündungsreaktionen zu verhindern und immunologische Reifungsprozesse nicht zu stören.“
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Kirstin Linkamp, Stabsstelle Kommunikation, Universitätsklinikum Würzburg
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Quellen: idw-online.de, Universitätsklinikum Würzburg, Nature Communications