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Praxis U18 - Ärzte für Kinder- & Jugendmedizin

Chronisch-rezidivierende Bauchschmerzen

Ein funktionelles Problem,
                 das allen auf den Magen schlägt.

Mein Bauch tut weh“. Ein Kind leidet, seine Mutter fühlt mit. Es keimt die „Angst“, etwas „Furchtbares“ zu übersehen. „Hilflosigkeit“ macht sich breit. Dem eigenen Kind nicht helfen zu können, führt zum Gefühl des „Versagens“, eventuell bis hin zur „Schuld“, selbst für dieses Leiden verantwortlich zu sein.

Bauchschmerz ist einer der häufigsten Gründe, die zu einem Termin beim Kinderarzt führen (ca. 20% aller Kinder im Alter zwischen 4-14 Jahren). Sie haben dementsprechend vielfältige, altersabhängige Ursachen. Ausgesprochen selten steckt eine organische Erkrankung dahinter, manchmal aber doch (ca. 20%). Das führt zu einem Dilemma: Überdiagnostik (mit all ihren Belastungen) versus Übersehen einer Krankheit (mit den damit verbundenen Ängsten). Außerdem verschwindet der Leidensdruck bei Patienten und Eltern nicht automatisch, nur weil keine organische Ursache gefunden werden kann.

Andererseits fällt häufig eine Diskrepanz zwischen den geschilderten Beschwerden und z.B. überproportional hohen Schulfehltagen auf. Nicht selten lassen sich zusätzliche intra-familiäre Stressfaktoren erkennen wie elterliche Beziehungskonflikte, Beziehungsstörungen Eltern-Kind, chronische Krankheit, Angst- und Depressionszustände bei einem Elternteil, finanzielle Probleme der Eltern o.ä. Diese Störfaktoren der intrafamiliären Beziehung führen nicht selten bei Eltern zusätzlich zu einer verzerrten Wahrnehmung der Häufigkeit und Intensität der Beschwerden und somit zu einer weiteren Verunsicherung. Psychosomatische Faktoren durch inneren Leistungsdruck, soziale Angepasstheit oder von außen nicht erkennbare, emotionale Zerrissenheit können beim Kind ebenso eine Rolle spielen, wie objektivierbare Belastungen durch sozialen Druck, Ausgrenzung, Mobbing oder Missbrauch.

Nach einer Erstbeurteilung mit Verdacht auf funktionelle Bauchschmerzen kann es nützlich sein, dass Kind und Eltern gemeinsam während etwa vier Wochen ein detailliertes >Beschwerdeprotokoll< führen. Unter Einbezug von Dauer und Intensität der Schmerzen sowie Stuhl- und Essgewohnheiten können die Beschwerden so besser objektiviert und eventuell auslösende Faktoren festgestellt, ein Verdacht auf organische oder biochemische Ursachen erhärtet oder entkräftet werden.

Wichtigstes Unterscheidungskriterium bei Bauchschmerzen ist der Verlauf:

  • akut: Beginn oder Verschlechterung innert Stunden bis Tage
    Termin beim Kinderarzt: in wenigen Stunden bis Tagen

  • chronisch: Wiederkehrend und belastend seit Wochen bis Monate
                       regelmäßig mindestens 1x/Woche länger als > 2 Monate
                       oder unregelmäßig > 3 Monate
    Termin beim Kinderarzt: in einigen Wochen

Natürlich steht im Vordergrund die Suche nach somatischen (körperlichen) Ursachen. Wir müssen nur „die Sache“ finden, die „kaputt“ ist. Und nicht selten kann man etwas finden, was unser Erklärungsbedürfnis befriedigt. Aber jeder Mensch ist anders und deshalb verläuft auch jede Krankheit anders. Und so kommt es manchmal vor, dass man zwar den „Fehler repariert“, aber die Bauschmerzen damit nicht zum Verschwinden bringt.


Bitte machen Sie einen Termin in unserer "Bauchschmerz-Sprechstunde" ab.
Schicken Sie uns vorher den ausgefüllten >Bauchschmerz-Fragebogen< zu oder bringen sie ihn zum Termin mit.
Vielleicht macht es Sinn, sich vor dem Termin über die unterschiedlichen Ursachen von Bauchschmerzen nochmals zu informieren. Dann lesen Sie weiter oder laden das komplette >Dokument< zum Ausdruck herunter.


Bauchschmerzen können sich äußern:

  • stechend/schneidend/brennend/reißend/drückend/dumpf/undefinierbar
  • chronisch (immer vorhanden), wechselnd (zu-/abnehmend), kolikartig (krampfartig/stark in Wellen)
  • ausstrahlend in andere Körperregionen
  • zu bestimmter Tageszeit (Zubettgehen, Mahlzeiten)
  • nur im Liegen/Bett, nur im Stehen, nur bei Bewegung/Sport
  • im Zusammenhang mit geistiger/psychischer Belastung

Bauchschmerzen können liegen:

  • periumbilikal (um den Bauchnabel gelegen)
  • rechter Unterbauch (Blinddarm, Muskelschmerz)
  • linker Unterbauch (Dickdarmabknickung, Muskelschmerz)
  • Rücken-Flanken (Nierenschmerzen, Seitenstechen)
  • rechter Oberbauch (Galle-/Leberprobleme)
  • linker Oberbauch (Magenschmerzen, Milzschwellung)
  • Epigastrisch (Mittelbauch unter der Brust, Magenschmerzen)
  • ganzer Bauch (undefiniert)

Bauchschmerzen können auftreten zusammen mit:

  • Fieber, Ausschlag, Schwellung der Gelenke, Gelbfärbung der Hau
  • Übelkeit, Erbrechen (gelblich-gallig oder auch nüchtern)
  • Schluckbeschwerden
  • Durchfall (auch nächtlicher), Obstipation (Verstopfung), wechselhafte Stuhlkonsistenz, Fettauflagen auf dem Stuhl, Stuhlschmieren in der Hose
  • Analer Blutabgang, Blut am Stuhl, Veränderung am After (Marisken/Einrisse/Ulcera)
  • Meteorismus (Luft im Bauch / gesteigerter Luftabgang)
  • Stark ausladender Bauch
  • Schmerzen beim Wasserlassen, Blut im Urin, nächtliches Einnässen
  • Körpergewichts Zu-/Abnahme
  • ungewöhnliche Nahrungszusammensetzung / Diät (Allergie, Gluten, vegan)
  • große Mengen Lactose / Fructose / Sorbit (v.a. Milch, Säfte pur)
  • Menarche (erste Blutung), Periode
  • Schwangerschaft
  • vorausgegangener Magen-Darm-Infekt
  • Auslandsaufenthalt (Parasiten, Kommersalen, Keime)
  • Nächtlicher analer Juckreiz, Würmer
  • vorangegangene Bauch-Operation
  • Auffälligkeiten in der Neugeboren-Zeit (Frühgeboren, Rotavirus-Infekt)
  • Angststörung, Depressionen
  • die Atmung behindernd; Dyspnoe (Atemnot)
  • familiär ähnliche Problematiken im Zusammenhang mit autoimmun Krankheiten, chron. entzündliche Darmerkrankungen, Zöliakie, Schilddrüsenerkrankungen, Diabetes mellitus, Reizdarmsyndrom.

Funktionelle Beschwerden sind keine eingebildeten Beschwerden, sondern Erkrankungen, welche nicht auf organische, biochemische oder entzündliche Ursachen zurückzuführen sind. Funktionelle Beschwerden sind in ca. 80% aller Fälle die Auslöser von chronisch-rezidivierenden Bauchschmerzen. Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass es sich nicht um „phantasierte“ Schmerzen Handelt, nur weil man keinen greifbaren Auslöser findet. Eine genetische Prädisposition und mehrere untereinander in Wechselbeziehung stehende Systeme werden als Ursache vermutet.

  • Es kommt durch Reizung im Darminnenraum selbst (Mahlzeit, veränderte Stuhlzusammensetzung, Zusammensetzung der an der Verdauung beteiligte Keime, Darmdehnung) oder auch von außen (psychosozialer Druck) zu veränderten Darmfunktionen mit veränderter Darmbewegung und Sekretion. Dies führt zu Verstopfung oder Durchfall.
  • Eine gesteigerte Empfindlichkeit des Darmes mit verstärkter Wahrnehmung verbunden mit einer Reduzierung der Schmerzschwelle auf Dehnungsreize im Gastrointestinaltrakt führt schlussendlich zur Überempfindlichkeit auf innere Reize und folgend Schmerz.
  • Nervengesteuerte Interaktionsstörungen zwischen Gehirnzentren und Darm sind mit erhöhter Reaktion auf Stress und gestörter Schmerzempfindlichkeit

Wichtige Einflussfaktoren im psychosozialen Bereich sind dauernde oder im täglichen Leben wiederholt auftretende Stressfaktoren, Angst- und Depressionszustände, Zustand nach sexuellem oder körperlichem Missbrauch. Neuere Studien liefern den verblüffenden Hinweis, dass widrige Lebensereignisse in frühester Kindheit (Neugeborenen- und Säuglingsalter) wie Schmerzen und Stress Langzeitveränderungen des Schmerzempfindens induzieren und so zur gesteigerten Empfindlichkeit des Darmes beitragen können.

Ein chronischer Schmerz führt ebenso wie psychische Faktoren (Erwartungshaltung, Aufmerksamkeit/Ablenkung, Stress, Entspannungsverfahren) zu einer Veränderung der Empfindlichkeit zentraler Schmerzzentren. Die Schmerzerfahrung selbst lässt den Schmerz zunehmend stärker erscheinen.

Typische anamnestische Charakteristika bei funktionellen Bauchschmerzen

  • Alter 5–14 Jahre; selten: < 5 Jahre/ > 14 Jahre
  • Chronische und rezidivierende Symptomatik
  • Häufig symptomfreie Intervalle (Wochen bis Monate)
  • Periumbilikal lokalisierte Schmerzen ohne Ausstrahlung
  • Große Variabilität von Schmerzcharakter (krampf-/kolikartig, brennend), Schmerzdauer (wenige Minuten bis einige Stunden) und Schmerzintensität (Protokoll)
  • Keine nächtlichen Schmerzepisoden
  • Allgemeinzustand und gewohnte Tagesaktivitäten nur gering gestört
  • Verstärkung der Symptome durch diverse Stressfaktoren
  • Gelegentlich vegetative Begleitsymptome wie Blässe, Übelkeit und Kopfschmerzen
  • Tendenz zu Obstipation bzw. Durchfall
  • Suche nach typischen Stigmata im Charakter: eher introvertiert, ängstlich, leicht depressiv, eher zurückgezogen, tiefes Selbstwertgefühl
  • Erniedrigte Schmerzgrenze

5 Typen funktioneller chronische Bauchschmerzen im Kindesalter

funktionelle Dyspepsie

Anhaltende oder wiederkehrende Schmerzen mit Schwerpunkt im Oberbauch in Verbindung mit der Nahrungsaufnahme sprechen für eine funktionelle Dyspepsie. Sie ist durch Erbrechen, Übelkeit, Völlegefühl und rasches Sättigungsgefühl gekennzeichnet. Durch Defäkation (Stuhlgang) kommt es zu keiner Erleichterung und die Stuhlfrequenz ist normal bzw. hat sich nicht verändert. Es wird angenommen, dass Motilitätstörungen (Muskelbewegungen) des Magens, zu verzögerter Magenentleerung oder unzureichender, postprandialer gastraler Relaxation (Magenerschlaffung nach dem Essen) führen. Dies kann zu Oberbauchbeschwerden aber auch zu geblähtem Abdomen (Bauch) führen.

funktionelle Bauchschmerzen

Hier liegt ein episodischer oder kontinuierlicher Bauchschmerz vor sowie unzureichende Kriterien für andere funktionelle gastrointestinale Störungen. Es besteht kein Zusammenhang der Schmerzen zum Essen oder der Stuhlentleerung. Die Schmerzen sind überwiegend um den Bauchnabel gelegen, strahlen nicht aus und sind mindestens 1x in der Woche seit mehr als > 2 Monate vorhanden.

Syndrom der funktionellen Bauchschmerzen

Hier kommen zu den Zeichen der funktionellen Bauchschmerzen, die 25% der Zeit auftreten noch eine deutliche Beeinträchtigung der Alltagsaktivitäten sowie der Lebensqualität. Zusätzliche müssen somatische Beschwerden wie Kopfschmerz, Gliederschmerzen oder Schlafstörungen hinzukommen. „Das Kind macht nichts mehr, was ihm sonst immer Spaß gemacht hat“.

Reizdarmsyndrom (RDS)

Beim Reizdarmsyndrom besteht eine Beziehung zwischen Bauchschmerzen und Defäkation in Form von veränderter Stuhlgangs Frequenz (> 4x/Tag oder <1-2x/Woche) und Stuhlkonsistenz (hart oder wässrig). Es können Obstipation oder Durchfall oder auch beides wechselnd vorkommen. Es gibt ein Gefühl von gesteigertem Stuhldrang oder der unvollständigen Entleerung sowie Völlegefühl oder einen geblähten Bauch. Schleimauflagen auf dem Stuhl können vorkommen. Die Bauchschmerzen bessern sich nach oder durch Stuhlentleerung.

Beim RDS gibt es eine Überschneidung rein funktioneller Betrachtungsweisen mit in ihrer Bedeutung noch ungeklärten, ernährungsbedingten Ursachen. Unklar ist sowohl der Einfluss von FODMAP, hier handelt es sich um nicht resorbierbare „Fermentierbare Oligo-, Di- und Monosaccharide und (and) Polyole“, die in glutenhaltigen Getreiden, aber auch in Gemüse, Obst, Süßstoffen und Milchprodukten enthalten sind, als auch die Bedeutung von Gluten selbst. Sollte eine Gluten -reduzierte oder -freie Diät mit Erfolg begonnen worden sein, könnte auch eine Weizenmehlallergie oder eine nicht-zöliakie-assoziierte Glutenunverträglichkeit hinter den Bauchschmerzen stecken (siehe auch ElterRatgeber-Allergie Weizen, und ElterRatgeber-Allergie Nahrungsmittel). Die Rolle der Histaminunverträglichkeit ist Teil vieler unbewiesener Annahmen und Diskussionen.

Positive H2-Atemteste auf Fructose oder Lactose sind häufig positiv, ohne dass eine Kausalität bewiesen wäre. Diätversuche können unabhängig von Atemtesten erfolgreich sein. Ebenso kann eine probatorische laxative (abführende) Therapie unabhängig vom Nachweis einer Stuhlretention Erfolg bringen. Entweder kann eine okkulte (nicht sichtbare) Obstipation vorliegen, oder die Anamnese war unzureichend, da gerade Jugendliche ihr eigenes Stuhlverhalten nicht beobachten / beschreiben können oder wollen. Parasiten wie Dientamoebia fragilis, Blastocystis hominis oder Giardia lamblia sind manchmal zu finden, deren Eradikation hat aber selten Einfluss auf die Symptome.

Migräne im Bauch (Abdominal Migräne)

Die abdominale Migräne ist gekennzeichnet durch anfallsartige Episoden mit heftigen, akuten periumbilikalen Schmerzen, die für mindestens eine Stunde (bis mehrere Tage) andauern. Die Schmerzsymptomatik ist häufig so stark ausgeprägt, dass die Kinder aus dem Schlaf heraus aufwachen und in ihrer Alltagsaktivität deutlich eingeschränkt sind. Die Triggerfaktoren der abdominalen Migräne sind in der Regel physische oder psychische Stresssituationen. Das Durchschnittsalter bei Diagnose ist 7 Jahre. Zusätzlich müssen weitere Kriterien erfüllt sein:

  • zwischenzeitliche Perioden mit normalem Gesundheitszustand über Wochen bis Monate
  • Beeinträchtigung normaler Aktivitäten durch den Schmerz
  • Assoziation des Schmerzes mit mindestens zwei der folgenden Symptome: Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen, Lichtscheue oder Blässe
  • keine Anzeichen für organische Störungen (chron. Entzündliche Darmerkrankungen, chirurgische Ursachen, zerebrale Neoplasien)

Zudem muss die Symptomatik mindestens zweimal in den letzten zwölf Monaten aufgetreten sein. Der Stuhlgang ist typischerweise unverändert. Es besteht eine Gemeinsamkeit mit Migräne Kopfschmerz und zyklischem Erbrechen, somit auch eine familiäre Häufung.

Bei diesen Warnzeichen müssen weitere Untersuchungen stattfinden

  • Alter < 4 Jahre, > 14 Jahre
  • (unklares) Fieber
  • Schmerzen abseits des Nabels (v.a. oberer/unterer re Quadrant)
  • Nächtliche Schmerzen
  • Schluckbeschwerden, Sodbrennen
  • Nahrungsmittelassoziiert (Milch, Früchte)
  • Ausstrahlung der Schmerzen
  • Wiederholtes (>1 Tag) Erbrechen, gallig
  • Wiederholter (>5 Tage) und v.a. nächtliche Durchfall, begleitendes Einkoten
  • sichtbares Blut im/auf dem Stuhl
  • Dysurie (Schmerzen/Auffälligkeiten beim Wasserlassen)
  • Ungewollte Körpergewichtsabnahme >10%
  • Wachstumsstörung
  • Nachweisbarer Leistungsknick in Schule oder beim Sport
  • Menstruationsstörungen, verzögerte Pubertät
  • Auffällige Verhärtungen im Bauch
  • Anale Veränderungen (Einrisse, Hautfalten)
  • Wiederholte Entzündungen der Mundschleimhaut (Aphthen)
  • Gelenksbeschwerden (Schmerzen, Schwellung, Rötung), v.a. Knie
  • Zunahme der Trinkmenge
  • Familiäre Vorgeschichte mit Magenschleimhautentzündung, entzündlicher Darmerkrankungen (Morbus Crohn / Colitis Ulcerosa), Zöliakie oder gastroduodenaler Ulkus