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Zwei Kinder im Südwesten mit tödlichem Masernvirus infiziert

Ein 10-jähriges Mädchen und ein 11-jähriger Junge sind an einer schweren Folgekrankheit von Masern erkrankt: der tödlichen Gehirnentzündung SSPE (subakute sklerosierende Panenzephalitis). Beide Kinder hatten sich als Säuglinge im Alter zwischen 4 und 6 Monaten mit dem Masernvirus angesteckt. SSPE-Fälle treten im Schnitt erst sieben Jahre nach einer Erkrankung auf. Je jünger Kinder bei einer Maserninfektion sind, desto höher ist das Risiko, später an einer SSPE zu erkranken...

Ein 10-jähriges Mädchen aus dem Saarland und ein 11-jähriger Junge aus Baden-Württemberg sind an der tödlichen Gehirnentzündung SSPE (Subakute sklerosierende Panenzephalitis) erkrankt. Die SSPE ist Spätfolge einer Masern-Infektion. Beide Kinder hatten sich als Säuglinge im Alter zwischen 4 und 6 Monaten mit dem Masernvirus angesteckt. Während bei dem Buben aus der Nähe von Stuttgart noch keine starken Symptome aufgetreten sind, ist die Krankheit bei dem Mädchen aus Homburg/Saar bereits weit fortgeschritten.

"Bis zum August des vergangenen Jahres war Michelle ein völlig gesundes Kind“, berichtet Michelles Mutter Regine H., die außer ihrer Tochter noch zwei weitere Kinder hat. „Plötzlich traten Veränderungen auf – sie hatte Krampfanfälle. Zunächst vermuteten die Ärzte, dass unser Kind unter Epilepsie leidet und entsprechend wurde sie auch behandelt. Doch die Anfälle kamen häufiger. Im November 2004 musste ich sie aus der Schule nehmen. Außerdem bemerkte ich, dass sich ihr Zustand immer weiter verschlechterte – es war fürchterlich. Michelle konnte Anfang dieses Jahres nicht mehr laufen und schließlich auch nicht mehr sprechen. Nach vielen weiteren Untersuchungen hatten dann Spezialisten in der Uniklinik Heidelberg einen Verdacht – in einer Gewebeprobe des Gehirns meiner Tochter wurden Masernviren entdeckt“, beschreibt Regine H. die langen Monate zwischen den ersten Krankheitsanzeichen und der endgültigen Diagnose. Das Mädchen wird inzwischen künstlich ernährt.

Ausgelöst wird diese irreversible und immer bis zum Tod fortschreitende Krankheit durch Masernviren, die nach einer Infektion in das Gehirn des Betroffenen eindringen und dort Nervenzellen zerstören. Zwischen Infektion und dem Ausbruch der ersten Symptome liegen mehrere Jahre. "Wir wissen nicht, weshalb bei manchen Menschen diese Erkrankung ausbricht und bei anderen nicht. Jungen scheinen häufiger betroffen zu sein als Mädchen - eine Therapie gegen die SSPE gibt es leider nicht", erklärt Prof. Heinz-J. Schmitt, Vorsitzender der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut (RKI) und Infektiologe an der Universitätsklinik in Mainz.

Mehr als 120 Fälle in Deutschland
"In vielen Lehrbüchern wird die Häufigkeit von SSPE mit etwa 1-5 Fällen auf eine Million Masernerkrankungen angegeben. Wir haben in der Vergangenheit zwischen 4 und 10 Fälle pro Jahr diagnostiziert – insgesamt über 120 Erkrankungen seit 1988. Bezogen auf die Zahl der Maserninfektionen in Deutschland heißt das, die SSPE kommt möglicherweise auch bei uns deutlich häufiger vor, als bisher angenommen", warnt Dr. Benedikt Weißbrich vom Institut für Virologie und Immunbiologie der Universität Würzburg. Eine Erklärung für die Unterschätzung des SSPE-Risikos könnte sein, dass diese chronische Form der Maserngehirnentzündung nicht an das RKI in Berlin gemeldet wird. Daher fehlen verlässliche Angaben über die tatsächlichen Fallzahlen in Deutschland. Der STIKO-Vorsitzende Schmitt warnt vor weiteren SSPE-Fällen in Deutschland. "Die letzten größeren Masernepidemien in Deutschland liegen erst wenige Jahre zurück und immer wieder kommt es – wie erst vor wenigen Wochen in Bayern und Hessen – zu neuen Ausbrüchen. SSPE-Fälle treten im Schnitt erst sieben Jahre nach einer Erkrankung auf. Je jünger Kinder bei einer Maserninfektion sind, desto höher ist das Risiko, später an einer SSPE zu erkranken. Bei Kindern unter 1 Jahr kann das Risiko einer SSPE bei 1:5.000 liegen", zitiert Schmitt die Ergebnisse einer britischen Untersuchung.

Fehlinformationen verstärkt aufklären
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat für Deutschland das Ziel ausgegeben, die Masern bis 2010 zu eliminieren. „Nur wenn es uns gelingt, diese Infektionskrankheit in unserem Land auszurotten, können auch die Menschen vor den schlimmen Folgen dieser Erkrankung geschützt werden, die sich selbst nicht schützen können. Zu diesen Gruppen gehören Säuglinge genauso wie Menschen, die aufgrund eines geschwächten Immunsystems nicht geimpft werden können. Es ist eine gesellschaftliche Aufgabe auch die Schwächeren vor gefährlichen Erkrankungen zu schützen“, kritisiert Dr. Wolfram Hartmann, Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte Deutschlands (BVKJ), eine der Hauptthesen der Impfgegner, die für individuelle Impfentscheidungen werben. Auch die gezielte Streuung von Falschinformationen akzeptiert Hartmann nicht: „Bei diesen beiden tragischen SSPE-Fällen wurden Wildviren nachgewiesen, d.h. die Kinder haben sich während eines Masernausbruchs in Deutschland mit diesem gefährlichen Erreger infiziert. Weltweit wurden bei allen durchgeführten SSPE-Diagnosen immer Wildviren und nie Impfviren gefunden. Dennoch erdreisten sich die Impfgegner in ihren Foren, diese furchtbare Erkrankung mit der Impfung in Verbindung zu bringen. Wir werden diese absichtlichen Irreführungen zukünftig zeitnah aufklären und wissenschaftlich abgesicherte Informationen für Laien verständlich aufbereiten“. Die Internetseite des Berufsverbandes www.kinderaerzte-im-netz.de wird das WHO-Zertifikat „Vaccine-Safety“ bekommen und ist damit neben der Seite des Robert Koch-Institutes (www.rki.de) in Berlin die einzige deutsche Internetplattform, die diese Auszeichnung bisher bekommen hat. „Wer also seriöse Informationen zu diesem Thema sucht, kann sich auf unserer Seite – die sich vor allem an Laien richtet – sicher sein, aktuelle, neutrale und vor allem wissenschaftlich abgesicherte Informationen zu bekommen“, erläutert Hartmann.

Impfung einziger Schutz
Die STIKO empfiehlt zwei Impfungen gegen Masern, Mumps und Röteln (MMR) in einem Alter zwischen 11 und 24 Monaten. Für das Ziel der WHO, die Masern bis 2010 in Deutschland zu eliminieren, müssen Impfquoten für die erste und die zweite MMR-Impfung von über 90% erreicht werden. Nach Angaben des RKI liegen die Quoten für die zweite Impfung in den westlichen Bundesländern bei etwa 50% im Osten bei über 60%. „Viele Eltern vergessen die wichtige zweite Impfung gegen Masern, Mumps und Röteln. Aber nur wer diese Impfung bekommt, hat einen vollständigen Schutz“, appelliert der Ärztepräsident an alle Eltern in Deutschland, die entsprechenden Impfpässe ihrer Kinder zu kontrollieren.

TV-Tipp: Frontal 21, Dienstag, den 27.9.05 um 21 Uhr beschäftig sich u.a. mit dem Thema "Impfen".