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Masern in Bad Salzuflen – zweites Kind in Folge an tödlicher Gehirnentzündung erkrankt

In Bad Salzuflen ist ein 10-jähriges Mädchen an einer Subakute Sklerosierende Panenzephalitis, einer chronischen Maserngehirnentzündung erkrankt, die als Spätfolge einer Masernerkrankung auftritt und meist tödlich verläuft. Im gleichen Ort gibt es einen weiteren Fall einer SSPE-Erkrankung...

Ein 10-jähriges Mädchen aus Bad Salzuflen ist an einer chronischen Maserngehirnentzündung erkrankt. Die so genannte Subakute Sklerosierende Panenzephalitis – kurz SSPE – kann als Spätfolge einer Masernerkrankung auftreten und verläuft praktisch immer tödlich. Der Fall der kleinen Natalie ist vor allem deshalb bemerkenswert, da es im gleichen Ort einen zweiten Fall einer SSPE-Erkrankung gibt (Michael Giesbrecht, 9 Jahre – Kinderaerzte-im-Netz berichtete), die offensichtlich den gleichen Ursprung hat. Beide Kinder waren im Säuglingsalter an Masern erkrankt – angesteckt hatten sie sich beim routinemäßigen Besuch eines Kinder- und Jugendarztes, um die anstehenden Vorsorgeuntersuchungen durchzuführen. Die Infektion ging von einem 11-jährigen Jungen aus, der am gleichen Tag im Frühjahr 1999 mit unspezifischen Beschwerden in der Praxis war und bei dem sich erst am darauf folgenden Tag die typischen Masernsymptome zeigten. Insgesamt hatte dieser Junge, dessen Eltern die Masernimpfung ablehnten, in dieser Praxis 6 weitere Kinder, darunter drei Säuglinge mit Masern infiziert. Bei zwei dieser Kinder, die heute 9 und 10 Jahre alt sind, wurde inzwischen eine SSPE-Erkrankung diagnostiziert. „Eine solche unerklärliche Häufung von SSPE-Erkrankungen ist in der wissenschaftlichen Literatur bisher nicht beschrieben worden. Diese Fälle sind nicht nur sehr tragisch für die betroffenen Kinder und deren Familien – sie zeigen auch sehr deutlich, dass Masern keine harmlose Kinderkrankheit sind. Besonders Säuglinge, die ja noch nicht geimpft werden können, haben ein erhöhtes Risiko an dieser gefährlichen Spätfolge der Masern zu versterben. Es ist daher besonders wichtig, Maserninfektionen bei Säuglingen zu verhindern“, warnt Prof. Dr. med. Reinhard Berner vom Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Freiburg und Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI). Auch eine britische Studie zeigt, dass die Gefahr für Säuglinge besonders groß ist. Demnach erkrankt etwa 1 von 5.000 Kindern, die in den ersten 12 Lebensmonaten die Masern durchmachen, im Laufe seines weiteren Lebens an dieser tödlichen Gehirnentzündung. Nach Informationen des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte in Deutschland (BVKJ) wurden seit 2003 insgesamt 18 Fälle von SSPE in Deutschland diagnostiziert – darunter auch sechs Fälle aus Nordrhein-Westfalen (NRW). 17 dieser Kinder waren im Säuglingsalter an Masern erkrankt. Während der letzten großen Masernepidemie in NRW im Jahre 2006 waren mehr als 1.600 Menschen, meist Kinder und Jugendliche, an Masern erkrankt – nach Angaben des Landesinstitut für den Öffentlichen Gesundheitsdienst (lögd) darunter auch über 100 Säuglinge.

Vollständiger Impfstatus als Voraussetzung für Kindergärten und Kindertagesstätten (Kita) BVKJ und DGPI fordern, dass alle Kinder vor dem Besuch einer Gemeinschaftseinrichtung alle von der Ständigen Impfkommission (STIKO) empfohlenen Impfungen nachweisen müssen. „Gerade vor dem Hintergrund, dass zunehmend auch neue Kita-Plätze für Säuglinge und Kleinkinder geschaffen werden, ist es eine Verpflichtung für die Träger dieser Einrichtungen, die gesundheitliche Sicherheit derer zu gewährleisten, die sich selbst nicht schützen können. Das gilt natürlich auch für Kinder, die aufgrund einer Immunschwäche oder einer Krebserkrankung nicht geimpft werden können. In allen Ländern, in denen dieses Modell – No Vaccination No School – angewandt wird, sind die Masern eliminiert. Und damit verschwindet auch die SSPE“, erläutert Berner. Kritisiert wird von den Experten insbesondere das neue Gesetz zur frühen Bildung und Förderung von Kindern – kurz KiBiz –, das in NRW im Zentrum des verstärkten Ausbaus des Betreuungsangebotes für unter Dreijährige steht. „Wir haben mehrfach dafür gerungen, dass im Gesetzentwurf ein Passus verankert wird, der eine Impfpasskontrolle als Voraussetzung für einen Platz in der Kindertagesstätte oder im Kindergarten festschreibt. Aber die Politiker hier in NRW scheinen beratungsresistent zu sein. Noch immer sterben Kinder in Deutschland an Masern. Es ist eine Schande. Alle Experten wissen, wie diese gefährliche Krankheit in Deutschland ausgerottet werden könnte – doch das KiBiz-Gesetz wird von ahnungslosen Politikern aus dem Ministerium für Generationen, Familien, Frauen und Integration verantwortet, die auch die Position des Gesundheitsministeriums von NRW nicht berücksichtigt haben“, kritisiert Dr. Thomas Fischbach, Landesvorsitzender der Kinder- und Jugendärzte in Nordrhein.

WHO kritisiert DeutschlandDas von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vorgegebene Ziel – die Eliminierung der Masern in Deutschland bis 2010 – sieht der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte inzwischen außer Reichweite. Seit Anfang des Jahres sind in Deutschland bereits über 750 Menschen an Masern erkrankt. Kritik kommt daher auch von der WHO. „Um Masern auszurotten, braucht man eine klare Impfstrategie, die alle Kinder im zweiten Lebensjahr erreicht. Gerade in Gemeinschaftseinrichtungen können sich Masern schnell verbreiten. Ungeimpfte Kinder haben nicht nur selbst ein hohes Erkrankungsrisiko – sie gefährden auch die Gesundheit anderer. Die Regelung wonach alle Kinder gegen Masern geimpft sein müssen, bevor sie eine Gemeinschaftseinrichtung besuchen dürfen, hat sich in vielen Ländern als sehr erfolgreich erwiesen. Denn noch immer sterben weltweit etwa 240.000 Kinder jedes Jahr an Masern – es ist eine gefährliche Erkrankung“, so Dr. Nedret Emiroglu vom WHO-Regionalbüro für Europa.

Video zum Masern-SSPE-Fall