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Kinder leben in sozialer Armut in Deutschland: „Wir brauchen neue Konzepte früher Hilfen“

Am 02.03.2009 tagt in Berlin die Kinderkommission des Deutschen Bundestages im Rahmen einer Anhörung zum Thema „Neue Konzepte Früher Hilfen“, auf der der Präsident des BVKJ das Konzept des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) vorträgt. Dr. Wolfram Hartmann, Präsident des BVKJ, stellte heute in Köln die Forderungen der Kinder- und Jugendärzte vor. Sie treten für ein umfassendes Hilfesystem für Kinder aus Familien in schwieriger sozialer Lage ein ...

„Etwa jedes fünfte Kind in Deutschland lebt in oder am Rande der Armut. Armut bedeutet meistens beengte Wohnverhältnisse in benachteiligten Quartieren mit schlechter Infrastruktur und unzureichenden Bildungsmöglichkeiten. Häufig haben die meist arbeitslosen Eltern resigniert und vermitteln den Kindern kein positives Rollenmodell. Die Grundstimmung ist lethargisch, häufig bestehen auch Suchterkrankungen. Kinder werden in der wichtigen und Weichen stellenden vorschulischen Entwicklungsphase nicht ausreichend angeregt, wir Kinder- und Jugendärzte finden bei ihnen in einem hohen Anteil eine nicht altersgerechte Entwicklung der Sprache und eine wenig entwickelte allgemeinen Auffassungsgabe, aber auch unzureichend ausgeprägte soziale Kompetenzen.

Vielfach sind die Kinder übergewichtig und mangelhaft motorisch stimuliert. Kinder mit einer solchen mangelhaften Entfaltung ihrer Grundfähigkeiten haben nur eine etwa 50%ige Chance, einen Schulabschluss zu erhalten. Ihre spätere soziale Prognose ist schlecht. Die Gesellschaft hat diese Kinder zwar zur Kenntnis, aber in ihrem individuellen Leid und ihrer sozialen Tragweite noch nicht wahrgenommen. Wir nenne sie deshalb die „vergessenen Kinder.“

Dr. Wolfram Hartmann, Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte in Deutschland, fasst mit diesen Sätzen zusammen, worin er den Grund für ein notwendiges Umdenken und eine Neukonzeptionierung der frühen kindlichen Entwicklungsförderung sieht. „ Auf dem gegenwärtigen demographischen Hintergrund können wir es uns eigentlich nicht erlauben, auch nur ein einziges Kind unserer künftigen Generation nicht optimal zu fördern. Wir wissen heute, dass jeder in die frühe Förderung von Kindern gesteckte Euro mit einem späteren gesellschaftlichen Gewinn von 12 Euros rückvergütet wird. Abgesehen vom individuellen Leid bedeutet aber jedes Kind, was ungefördert im späteren Leben in das Netz der sozialen Hilfen fällt, nicht nur keinen gesellschaftlichen Gewinn, sondern ausschließlich Kosten. Was wir also für Kinder aus solcherart belasteten Familien benötigen, ist ein so früh wie möglich einsetzendes System früher Hilfen, welches kompensatorisch die elterlichen Defizite ausgleicht.“

Die Forderungen der Kinder- und Jugendärzte
Laut Hartmann beginnt dies bereits bei Hilfen der noch schwangeren Mutter, bei der ein soziales Risiko erkannt wurde, setzt sich fort über eine gute Begleitung und Anbindung an die Geburtsklinik, setzt sich weiter fort über eine gute Hebammenbegleitung in den ersten nachgeburtlichen Monaten und schließt selbstverständlich den frühen Kontakt zum Kinder- und Jugendarzt ein.

Wichtig bei den meist bildungsfernen und in schwieriger sozialer Situation befindlichen Familien ist ein gutes Casemanagement, welches z.B. an den Kinder- und Jugendgesundheitsdienst im Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) angebunden sein sollte und in enger Abstimmung mit dem Jugendamt arbeitet. Voraussetzung hierfür aber ist, dass der ÖGD entsprechend ausgebaut wird und in den Ämtern ausgebildete Sozialpädagogen und nicht nur Verwaltungsfachleute sitzen.

Dr. Wolfram Hartmann: „Eine besondere Bedeutung kommt den Kinderkrippen und Kindertagesstätten zu. Diesen Institutionen ist insbesondere in den letzten 10 -15 Jahren die gesellschaftlich wichtige Aufgabe zugewachsen, die Kinder aus sozial schwächeren Lebenswelten in ihren Grundfähigkeiten so auszubilden, dass sie eine gute Schul- und damit Sozialprognose haben.

In unserer Gesellschaft ist das Kriterium der „sozialen Gesundheit“ bei diesen Kindern im Sinne der „guten sozialen Prognose“ zu verstehen. Deshalb ist unsere Forderung nach niederschwellig erreichbaren und gut qualifizierten Kinderkrippen und Kindertagesstätten insbesondere in sozial problematischen Wohnumgebungen („soziale Brennpunkte“) eine Gesundheitsforderung, für die wir uns als Kinder- und Jugendärzte - und nicht als Pädagogen – zuständig fühlen.“ Die Kinder- und Jugendärzte hoffen, dass diese komplexe Grundkonzeption früher Hilfen von der Schwangerschaft bis hin zur Tagesbetreuung der Kinder gesellschaftlich Gehör findet.