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Fordern kann fördern: Durch Regeln begreifen Kinder Verbindlichkeiten

Durch Pflichten können Kinder Verbindlichkeiten lernen. Das Fehlen von Ritualen, Regeln und Grenzen im Familienleben kann dagegen zu Antriebslosigkeit und geringer Frustrationstoleranz führen, wodurch letztlich der Nährboden für aggressive Langeweile, Suchtentstehung und Ess-Störungen gelegt wird. Daher sollten Eltern an Bereiche wie Ernährung, Bewegung und Kommunikation fordernd und damit auch fördernd herangehen...

Unterforderung in der Familie kann nach Meinung der Schulärztin und Psychotherapeutin Dr. Barbara Reiterer die Entwicklung von Verhaltensstörungen bei Kindern begünstigen. "Nehmen wir das Beispiel der Magersucht: Betroffen sind häufig Mädchen, die in geordneten Verhältnissen aufwachsen und deren Eltern immer wieder erklären, sie hätten ihre Kinder umhätschelt und versucht, alles ganz perfekt zu machen", so Dr. Reiterer. "Lust ohne Anstrengung führt zu aggressiver Langeweile und diese sucht nach immer größerer Lust. Damit ein junger Mensch ein souveräner, reifer Erwachsener werden kann, braucht es die Erziehung, die vom Fordern zum Selbstfordern führt. Sich selbst zu fordern, ist mit Anstrengung verbunden und zu dieser Anstrengung ist das kleine Kind bei entsprechender Motivation bereit, alleine ist es jedoch dazu nicht fähig, ein gutes Vorbild erleichtert den Lernprozess.“

Mahlzeiten sollten gemeinsames Erlebnis sein
Die Medizinerin stellt einen Zusammenhang zwischen Ess-Störungen und dem Fehlen von Regeln im Rahmen der familiären Essensaufnahme her. So sind ritualisierte Verhaltensweisen wie etwa das Händewaschen vor der Mahlzeit oder das gemeinsame Beginnen des Essens wichtig, um Verbindlichkeiten zu begreifen und die Frustrationstoleranz herabzusetzen. Zudem lernen Kinder Achtsamkeit und Rücksichtnahme, wenn sie sich an die Speisenabfolge halten müssen und nicht schon den Nachtisch verzehren dürfen, während die Erwachsenen noch bei der Hauptspeise sind.

Bewegung & Kommunikation - Vorbildcharakter der Eltern entscheidend
Hinsichtlich des Themas Bewegung sind Kinder so genannte „Modell-Lerner“. Sie besitzen zwar einen natürlichen Bewegungsdrang, leben diesen aber erst aus, wenn Bezugspersonen, d.h. in der Regel die Eltern, dahingehend mit gutem Beispiel vorangehen. Es ist nicht sinnvoll, Kinder danach zu fragen, ob sie wandern gehen wollen oder nicht. "Wenn die ersten zähen Minuten überwunden sind, haben die meisten gesunden Kinder Spaß an kleinen Wanderungen." Zum Thema "Fordern zur Bewegung" gehört es nach Meinung von Dr. Reiterer auch, Kinder vor TV- und Computerverwahrlosung zu schützen.
Des Weiteren ist sprachliche Kommunikation in der Familie von großer Bedeutung, weil dadurch nicht nur Informationen, sondern auch Gefühle und Werte vermittelt werden, so die Expertin. Wenn Eltern unverzüglich auf bloßes Gestikulieren der Kinder reagieren, nehmen sie dem Sprössling damit die Chance, sich artikulieren zu lernen.

Grenzen setzen und ein offenes Miteinander sind wichtig
Konsequenz und Besonnenheit in der Erziehung sind für Eltern keine leichten Aufgaben. „Dem Kind abzuverlangen, dass es Grenzen und Ablehnung einfach aushalten muss, ist oft eine große Herausforderung“, räumt Dr. Reiterer ein. Doch verwöhnte Kinder sind auch schlechter vor Suchterkrankungen geschützt. „Nicht jeder Konsumwunsch muss erfüllt werden, man kann Kindern zeigen, dass es nicht nur materielle Wünsche geben muss, sondern vielleicht auch Erlebnis- und Begegnungswünsche“, rät Dr. Reiterer.
Und nicht zuletzt ist die Stimmungslage im Haus für die seelische Gesundheit der kompletten Familie und auch für verfügbare Energien ausschlaggebend.