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ADHS - Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung

Ursachen

Die Entwicklung und Aufrechterhaltung einer ADHS lässt sich am besten durch ein komplexes Zusammenwirken verschiedener Faktoren erklären. Hierzu gehören sowohl verschiedene neurobiologische Ursachen, aber auch ungünstige Bedingungen in Familie oder Schule (psychosoziale Einflüsse).

Stoffwechsel- und Funktionsstörungen im Gehirn

Das wissenschaftlich begründete Erklärungsmodell für die Entstehung der ADHS legt eine fehlerhafte Informationsverarbeitung zwischen bestimmten Hirnabschnitten zugrunde, welche für die Konzentration, Wahrnehmung und Impulskontrolle zuständig sind. Diese Störung ist wiederum durch ein Ungleichgewicht der Botenstoffe (Neurotransmitter) in diesen Hirnbereichen – vor allem von Dopamin und Noradrenalin - bedingt, die eine wichtige Rolle bei der Signalübertragung von einer Nervenzelle zur anderen spielen. Man geht u.a. davon aus, dass bei ADHS-Patienten Dopamin im Raum zwischen zwei Nervenzellen, dem so genannten synaptischen Spalt, nicht in ausreichender Menge zur Verfügung steht. Die Unterversorgung mit diesem Botenstoff führt zu einer gestörten Informationsweiterleitung zwischen den Nervenzellen. Reize werden nur schlecht und unzureichend gefiltert. Dadurch wird das Auftreten neuer Gedanken nicht gehemmt, mit der Folge, dass begonnene Gedanken nicht zu Ende gedacht werden können.

Mit modernen bildgebenden Methoden wie der Positronen-Emissions-Tomografie (PET), die eine Darstellung von Stoffwechselvorgängen des Gehirns ermöglicht, und der Single-Photon-Emissions-Computertomografie (SPECT) konnten bei ADHS-Patienten zudem Funktionsstörungen in einzelnen Hirnabschnitten (Stammganglien und Frontalhirn) sowie Veränderungen in der „Gehirnarchitektur“ sichtbar gemacht werden. Auf diese Weise wurde festgestellt, dass z.B. der Hirnvorderlappen, d.h. das Frontalhirn, bei ADHS-Kindern kleiner ist und die veränderten Hirnbereiche weniger Sauerstoff und Glukose verbrauchen als bei gesunden Kindern. 

Permanente Reizüberflutung – gestörte Reaktionshemmung

Menschen mit ADHS können aufgrund der Stoffwechsel- und Funktionsstörungen in ihrem Gehirn die dauernden neuen Impulse nicht genügend filtern, so dass die Informationsverarbeitung behindert wird. Sie unterliegen einer permanenten Reizüberflutung. Die Betroffenen sind daher nur eingeschränkt in der Lage, ihre Aufmerksamkeit auf eine Sache zu konzen¬trieren, sie leiden an einer gestörten Selbstregulation. Gleichzeitig ist der Zugriff auf vorhandene Fähigkeiten und Informationen eingeschränkt, so dass eine vorausschauende Handlungsplanung erschwert wird. Sie können wichtige von unwichtigen Wahrnehmungen kaum unterscheiden. Da alle Eindrücke ungefiltert auf sie einstürzen, stehen sie ständig unter einer großen Anspannung.

Erbliche Vorbelastung

Eine genetische Veranlagung führt zu dieser neurobiologischen Störung, denn  10 bis 15% der nächsten Familienangehörigen von Kindern mit ADHS sind ebenfalls betroffen. Zwillingsstudien zeigen, dass gut 80% der Eineiigen und knapp 30% der Zweieiigen die gleiche Symptomatik aufweisen. Neuere Forschungsergebnisse gehen sogar davon aus, dass nahezu 80% aller ADHS-Erkrankungen erblich bedingt sind.

Mehrere veränderte Gene (polygener Erbgang), die alleine kaum Störungen bewirken, sind aber im Zusammenspiel ursächlich für die fehlerhafte Informationsübertragung im Gehirn verantwortlich. Das erklärt dann auch das breite Spektrum möglicher Begleitstörungen (Komorbidität) wie Lerndefizite oder emotionale Störungen sowie das unterschiedliche Ansprechen auf die Medikation.

Psychosoziale Einflüsse

"Schlechte Erziehung” oder “negative Kindheitserfahrungen” können als eigentliche Ursachen einer ADHS ausgeschlossen werden. Ungünstige Familienverhältnisse können die betroffenen Kinder in ihrer Persönlichkeitsentwicklung jedoch zusätzlich belasten und sich auf den Schweregrad, den Krankheitsverlauf und die Entwicklung von begleitenden Störungen (z.B. Aggressivität, Angst) negativ auswirken. Zu den so genannten psychosozialen Risikofaktoren zählen z.B.:

  • unvollständige Familie, d.h. Aufwachsen mit einem alleinerziehenden Elternteil oder ohne Eltern
  • psychische Erkrankung eines Elternteils, vor allem antisoziale Persönlichkeitsstörung des Vaters und Alkoholkonsum in der Familie
  • familiäre Instabilität, ständiger Streit zwischen den Eltern
  • niedriges Familieneinkommen, sehr beengte Wohnverhältnisse
  • Inkonsequenz in der Erziehung, fehlende Regeln
  • häufige Kritik und Bestrafungen
  • unstrukturierter Tagesablauf

Auch eine mindere Intelligenz und die Persönlichkeit des Kindes, die zum großen Teil durch die ungünstigen Familienverhältnisse bedingt ist, wie z.B. schlechte soziale Eingliederung und ein negatives Selbstbild, spielen bei der Ausprägung der ADHS eine Rolle.

Risikofaktoren im Mutterleib

Nikotin, Alkohol oder andere Drogen während der Schwangerschaft sowie Frühgeburtlichkeit oder ein Sauerstoffmangel bei der Geburt erhöhen das Risiko des Kindes, später an ADHS zu erkranken.

Heutiger Lebensstil

Manche Fachleute vermuten, dass die ADHS-Entwicklung auch durch unseren heutigen modernen Lebensstil ungünstig beeinflusst wird. Statt Wege zur Schule zu Fuß zurückzulegen und täglich im Freien zu spielen, werden die Kinder mit dem Bus oder von den Eltern zur Schule gebracht und meistens wird drinnen gespielt und allzu häufig am PC. Körperliche Aktivität, optische und akustische Wahrnehmung aus der Natur und wirkliches „Begreifen“ mit den Händen findet immer weniger statt. Bewegungsdrang, überschießende Energie und Neugier können kaum ausgelebt werden. Weniger Autorität der Eltern und Lehrer fördert heutzutage zwar die freie Entfaltung gesunder Kinder, schadet aber dem ADHS-Kind, das klare Strukturen, Regeln und Regelmäßigkeit benötigt. Große Gruppenstärken in Kindergärten und Schulen, die individuelle Betreuung nahezu unmöglich machen, verschärfen das Problem, ebenso der sogenannte „offene Kindergarten“, der kaum Strukturen vorgibt. So werden leichte Verhaltensauffälligkeiten nicht mehr kompensiert und die Kinder werden zunehmend auffällig.